Der rätselhafte Kessel von Gundestrup

Vom archäologischen Fundstück zum historischen Roman

Mein Eisenzeit-Roman Der silberne Kessel dreht sich um den sagenumwobenen Kessel von Gundestrup, einen Fund aus einem dänischen Torfmoor. Er ist mit rätselhaften Figuren bedeckt. Wer ihn einmal gesehen hat, vergisst ihn so schnell nicht wieder. So ging es mir jedenfalls.

Der silberne Kessel von Gundestrup

Schau selbst, ist dieser Kessel nicht eindrucksvoll? Er ist aus Innen– und Außenplatten zusammengesetzt. Jede Platte scheint eine Geschichte zu erzählen. Diese Zeichnung hier stammt aus einem der ersten Berichte über das Fundstück, aus einem wissenschaftlichen Artikel von 1892 (9).

Als ich den Kessel das erste Mal gesehen habe, musste ich sofort an Märchen denken.

Der Kessel von Gundestrup und Märchen

Rotkäppchen, Großmutter, der Wolf und der Jäger (Filzstift und Tusche)

Was siehst du hier? Okay, ich habe das Bild selbst gemalt, und ich bin keine gute Zeichnerin. Aber bestimmt erkennst du trotzdem, um welche Geschichte es geht.

Ein anderes Beispiel: Stell dir ein Bild vor mit einer jungen Frau und sieben kleinen bärtigen Männern mit Zipfelmützen. Welches Märchen fällt dir ein?

Noch welche:

  • Ein nacktes Menschenpaar, ein Baum und eine Schlange.
  • Ein langer Tisch mit 13 Männern darum.
  • Ein großes Schiff mit Tieren drauf, von jeder Art zwei Exemplare.

Hast du es geraten?

Rotkäppchen und der Wolf, Schneewittchen und die sieben Zwerge, Adam und Eva, Abendmahl Jesu, Arche Noah – die meisten von uns kennen diese Geschichten.

So ähnlich stelle ich mir das mit dem Kessel vor. Die Leute, die den Kessel vor 2000 Jahren benutzt haben, wussten wahrscheinlich, welche Storys sich hinter den Abbildungen auf seinen Wänden verbergen. Vielleicht waren es religiöse Sagen, vielleicht historische Ereignisse. Die heutigen Wissenschaftler*innen haben für manche Platten Vorschläge gemacht, was sie darstellen sollen, aber es herrscht keine Einigkeit. Deswegen habe ich mir für die Kesselplatten selbst Geschichten ausgedacht.

Meine Heldinnensage von Hirschbraut

Eine Innenplatte vom Kessel von Gundestrup, ein Silberfund aus der Eisenzeit (Sophus Müller, 1892)

Diese menschliche Figur vom Kessel von Gundestrup (9) wird oft als gehörnter Gott (oder Cernunnos) oder als Schamane gedeutet. Ich verstehe nicht, wie man in der Figur so deutlich einen Mann erkennen kann. Die Figur hat keinen Bart. Die Beine sind gespreizt, jedoch deutet keine Wölbung auf ein männliches Geschlechtsteil hin. In meinem Roman ist die Figur eine junge Frau: Hirschbraut, die Seherin.

Und so erzählt Blatč die Geschichte

Blatč ist Reisender, doch er kennt die Sagen der Sesshaften. Hier hält er die Kesselplatte mit der gehörnten Figur in der Hand und erzählt seiner jungen Gefährtin Katek die Geschichte.

„Hirschbraut war eine berühmte Seherin. Sie konnte im Flug der Vögel und in der Form der Wolken lesen. Sie verstand das Rauschen der Wellen und das Flüstern der Blätter im Wind.“ Blatč sprach mit seiner Märchenstimme, mit der er früher Katek Geschichten erzählt hatte, abends, bevor er zu einer Holden gegangen war. Genau wie damals brannte auch jetzt ein helles Feuer in der Mitte des Zelts, und der Flammenschein tanzte auf Blatčs Gesicht. „Ihr Totemtier war der Hirsch. Sie besaß ein weißes Hirschfell und einen Lederhelm mit dem Geweih des weißen Hirschen. Und in die Anderswelt reisen konnte Hirschbraut, denn sie beherrschte auch diese Zauberkunst. Mit der Hörnerkappe auf dem Kopf und dem Fell in der Hand ging sie an einen Ort, an dem sich die Adern Midgards kreuzen. Wie es das Ritual will, legte sie das Fell auf die Kreuzung und setzte sich darauf. Sie verschränkte ihre Beine, sodass ein Knie nach Westen, das andere nach Osten zeigte. Mit einer geheimen Zauberformel gelangte sie auf Midgards Adern bis in die tiefsten Wurzeln der Weltenesche und von dort aus in die Anderswelt, wo die Geister der Ahnen weilen. Nur das Hirschfell blieb in Midgard zurück. Einmal aber kam ein Kind am Weg vorbei und sah das weiße Fell. Es schimmerte wie frisch gefallener Schnee. Das Kind hob das Fell auf und nahm es mit. Aus Angst, seine älteren Geschwister könnten ihm das Fell wegnehmen, versteckte das Kind es in einer Höhle. Aber ohne das Fell kam Hirschbraut nicht mehr aus der Anderswelt zurück. Drei Jahre lang suchte sie ihr Fell vergebens. Eines Tages fiel das Kind in einen Fluss und ertrank. Und sein Geist gelangte in die Anderswelt.“
Blatč hielt Katek ein Silberblech hin. Der Schein des Zeltfeuers flackerte auf den getriebenen Figuren. „Sieh mal, hier reitet das Kind auf dem Allwissenden Wels“, sagte er mit seiner normalen Stimme und zeigte auf eine Figur, die auf einem großen Fisch ritt wie auf einem Pferd. Daneben saß Hirschbraut, sie war noch ganz jung und ohne Busen. Das Hirschfell fehlte auf dem Blech, es war wohl schon geklaut worden. Neben Hirschbraut stand der weiße Hirsch. Sein Geweih sah genau so aus wie das, das Hirschbraut auf dem Kopf trug. Hirschbraut reichte dem Hirsch eine Torka, die gleiche, die auf dem Bild um ihren eigenen Hals hing. Vielleicht war der Schmuck der Tauschpreis für das Geweih.
Katek legte das Blech auf ihre Knie und kratzte mit dem Fingernagel über die Windungen der Torka in Hirschbrauts Hand. In den Rillen klebte Schmutz.
„Das Kind erzählte Hirschbraut, wo es das Fell verborgen hatte“, sagte Blatč. „So konnte sie wieder nach Midgard zurückkehren.“
Na klar, irgendwie musste sie die Anderswelt wieder verlassen haben, denn die bekanntesten Sagen von Hirschbraut erzählten von der Zeit, als sie Heerkönigin der Wanen und die Mutter von Odin war. Katek wischte noch einmal mit dem Ärmel über die Hirschbrautfigur, dann gab sie Blatč das Blech zurück.

Der Kessel von Gundestrup:

Nicht nur Kunstwerk, sondern auch wertvolles Metall

Der Kessel von Gundestrup ist aus 9 kg purem Silber und teilvergoldet. Damit ist es klar, dass er zu jedem Zeitpunkt sehr viel wert gewesen ist. Trotzdem ist er in einem Moor gelandet.

Wie kam der Kessel in das Moor?

In den ersten wissenschaftlichen Artikeln über den Kessel von Gundestrup habe ich erfahren, dass der Kessel wahrscheinlich nicht versenkt, sondern nur im Moor abgestellt wurde. Sofort fielen mir viele verschiedene Möglichkeiten ein, wie das geschehen konnte. Ich hätte Stoff für mehrere Romane gehabt. Meine zentrale Frage war von Anfang an: Wie kam es dazu, dass ein enorm wertvoller Gegenstand einfach stehen gelassen wird?

Allerdings habe ich später gelesen, dass die Sache mit dem stehen gelassen nicht bewiesen ist. Und wie es im Roman läuft, erzähle ich hier natürlich nicht. 😉 Aber mit der Frage nach dem wie und warum ist die Geschichte von Katek, der Diebin, Erkenhild, der Kriegerin, Thorwaltshunt, dem Heerkönig und Friya, der verstoßenen Tochter entstanden. Nicht zu vergessen Busla die Fluchkundige, Großdruidin von Nordgard und vielleicht die wichtigste Figur aus Der silberne Kessel.

Thorwaltshunt, der Heerkönig von Nordgard

Auf der Kesselplatte unten (9) ist eine Geschichte dargestellt, die für den Heerkönig von Nordgard sehr wichtig ist, denn die Figur in der Mitte stellt Segamain, sein Vorbild, dar. In dem Textauszug sieht Thorwaltshunt den Kessel als Kind zum ersten Mal.

Eine Außenplatte des eisenzeitlichen Kessels von Gundestrup

Am Ufer der Quelle brannte eine Feuerschale. Daneben stand auf einem Gestell ein großes rundes blitzendes Ding. Es musste aus Silber sein, so wie es glänzte. Figuren waren auf ihm dargestellt. Ein Mann mit zwei Bartzöpfen und hellen blauen Augen hielt in jeder Hand einen kleinen Menschen.
So ein Mann war auch auf Oheims Kriegerkappe drauf. Er hieß Segamain der Vereiniger der Stämme und war ein Ahne, der vor vielen Hundert Wintern gelebt hatte. Die Menschen in seinen Händen stellten die Stämme dar. Auf Oheims Kappe waren unter den Füßen der Menschen ihre alten Totemtiere abgebildet, ein Hund und ein Pferd. In der erhobenen Hand hielten die Menschen ein Wildschwein, ihr neues gemeinsames Totemtier nach der Vereinigung. Über die Quelle hinweg waren die Totemtiere auf dem Silberding nur undeutlich zu erkennen. Aber die Menschenfiguren sahen aus wie lebendig. Das Silberding musste ein Zauberkessel sein.

Thorwaltshunt als Kind

Der Fund vom Kessel von Gundestrup

Im Jahre 1891 fanden Torfstecher den Kessel im Rævemose (Fuchsmoor). Dieses Moor befindet sich ganz in der Nähe vom Borremose, wo der „Mann von Borremose„, eine Moorleiche. Dieser Mann hat allerdings schon lange dort gelegen, als der Kessel ins Moor gebracht wurde, denn die Moorleiche wurde auf die Bronzezeit datiert.

Die Fundstelle vom Kessel von Gundestrup in der Nähe von Aars (Dänemark)

Das hier ist die Fundstelle in Dänemark bei dem heutigen Dorf Gundestrup in der Nähe von Aars. Ich war mit meiner Freundin Alex und unseren insgesamt 3 Kindern dort. Wir mussten ganz schön suchen, bis wir die Stelle gefunden haben! Anschließend haben wir uns eine Kopie des Kessels im Museum von Aars angesehen.

Charlotte Fondraz und ein Detail vom Kessel von Gundestrup

Diese Karte hat mir der nette Museumswärter geschenkt.

Der archäologische Fund des Kessels im Roman

Wie der Kessel von Gundestrup gefunden wurde, habe ich im Epilog des Romans beschrieben. Ein paar Namen und einige der Umstände sind historisch, aber auch im Epilog habe ich mir die Handlung so zurechtgebogen, dass sie für meine Geschichte passt.

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Cover Der silberne Kessel

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Links zum archäologischen Kessel von Gundestrup

Nationalmuseet

Academia-Artikel von 2005

Youtube-Video von 2015

1 Anmerkung zu “Der rätselhafte Kessel von Gundestrup

  1. Dirk

    Liebe Charlotte!
    Es ist ein Vergnügen zu sehen, zu lesen und zu hören, mit wie viel Leidenschaft und Professionalität Du diesen Blog füllst. Vielen Dank dafür. Ich wünsche Dir weiterhin viele glückliche Leserinnen und Leser Deiner Geschichten und Romane.
    Dirk

    Antworten

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